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Der Webstuhl des Werdens

Unsere Welt gleicht einem bunten Gewebe. Darin gibt es höchst unterschiedlich beschaffene Bereiche. Grobe und feine, einfache und komplizierte Strukturen sind in ihm verwoben. Doch es sind allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Eine allgemeinste ist: es gibt eine Entwicklung von der Einheit zur Vielfalt.

Aus der Betrachtung des Weltalls wissen wir, dass die äußeren Bereiche des Universums sich immer weiter von uns entfernen. Daraus lässt sich schließen, dass ursprünglich alles zusammengeballt war. Und irgendwann, vor etwa 10-15 Milliarden Jahren, platzte diese Zusammenballung auseinander. Das war der sogenannte Urknall.

Seit Albert Einstein wissen wir, dass die grobe Materie nur eine andere Erscheinungsform reiner Energie ist. Aus solcher Energie bestand unsere Welt in den ersten Augenblicken nach dem Urknall.

Beim Auseinanderfliegen nahm die Energiedichte ab. Wie zum Beispiel Wasserdampf feste Partikel auskondensiert, wenn er an Energie verliert und abkühlt, so war es auch hier. Es bildeten sich Teilchen. Aus denen bildeten sich dann nach weiterer Abkühlung die Atome. Es bildete sich also Masse. Und diese Masse zog aufgrund der Massenanziehung (Gravitation) weitere Masse an. Daraus entstanden die Himmelskörper.

Die ersten größeren Himmelskörper waren mehr Wolken aus kleinen Teilchen. Sie verdichteten sich wie einst die reine Energie nach dem Urknall. Die Wolken wurden immer dichter. In ihnen nahm aufgrund der Verdichtung wieder die nach außen strebende Energie zu. Außerdem bildeten sich komplexere Strukturen wie die schweren Elemente mit mehr Elementarteilchen im Atomkern. Ab einem gewissen Grad der Verdichtung zerplatzten dann manche dieser Gebilde. Es gab einen Urknall im Kleinen.

Die so nach außen geschleuderten Bestandteile der alten Sterne verdichteten sich wieder in einzelnen Gebilden, Sonnen und Planeten. Daraus entstand (unter anderen) unser Sonnensystem.

So im Prinzip geht es die ganze Evolution weiter. Es gibt einerseits überall ein von gebildeten Strukturen wegstrebendes Energiepotenzial. Andererseits schließen sich die neu entstandenen Strukturen zusammen und bilden auf dieser Basis wieder neue Strukturen.

Dadurch bildet sich infolge entstehender Konzentrationen oder Bindungen im Zuge frei werdender Kräfte ein Energieüberhang. Dieser treibt die Entwicklung jeweils kompakterer Formen in immer feineren Kanälen voran.

Die Dinge laufen also dauernd von sich weg und in sich zurück. Und so entwickeln sie sich voran. Dieser "Webstuhl des Werdens" wirkt auch im Bereich der Entstehung und Entfaltung der biologischen Formen.

Die Nobelpreisträger Ilya Prigogine (Chemie) und Manfred Eigen (Molekularbiologie) haben Bahnbrechendes für die Erklärung solcher Phänomene geleistet. Und viele andere bedeutende Naturwissenschaftler beschäftigen sich mit den zugrundeliegenden Prinzipien der "Selbstorganisation des Universums": Vielfältige Wechselbeziehungen treiben die Welt. Es sind nicht einzelne kleinste Teile, aus denen sich alles erklären lässt, wie der naturwissenschaftliche Reduktionismus lange annahm.

Eine Bestätigung für diese noch relativ junge Sichtweise bietet die Weltsicht der alten Völker. Dort findet sich nämlich ein klares Bewußtsein vom Verwobensein der Dinge. Der Mythos bringt die Entwicklungsdynamik, die daraus erwächst, in Erzählungen zum Ausdruck. In Die Weisheit des Mythos sind eine Reihe alter Überlieferungen so interpretiert, dass vergleichbare Ordnungsmuster darin erkannt werden können.

Besonders lehrreich sind die frühesten biblischen Belege. Nach der ältesten biblischen Überlieferung steht am Anfang der geschaffenen Dinge Adam. Adam bedeutet übersetzt "Mensch". Gemeint ist dabei das als lebend aufgefasste Prinzip Mensch. "Prinzip Mensch" meint hier: das ständige Andocken an die Dinge der Welt und dann das Abkoppeln davon, um sich wieder Neuem zu widmen.

Ist aber die hergestellte Verbindung zu fest oder definitiv, kommt das Lebensprinzip Adams ins Stocken. Es hört auf. Adam stirbt (im Prinzip). Es erfolgt so etwas wie eine Gerinnung zu dem gegenständlichen Zustand, bei dem Adam (das Prinzip der Lebensbewegung) stehenbleibt.

Der Kontakt mit dem schöpferischen Ursprung der Lebensbewegung (= Gott) befreit ihn dann aus der Umklammerung durch die Dinge, an die er sich vergeben hat. Er bleibt zwar weiterhin an diese gebunden, kann aber seinen Weg fortsetzen. Bis zum nächsten Mal.

Dies ist in prägnantester Form die Aussage der alten biblischen Überlieferung. Aber nicht nur in so grober und grundsätzlicher Form stimmt die Weisheit des Mythos mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen überein. Auch in detaillierterer Form sind Analogien erkennbar. "Der Webstuhl des Werdens" (in Arbeit befindlich) wird solche darstellen. Die Weisheit des Mythos  (lieferbar) hilft vorerst mit der detaillierten Interpretation mythischer Überlieferungen, der es zunächst nur um die innere Logik des Erzählgewebes geht, ein Gespür für vergleichbare komplexe Zusammenhänge zu entwickeln.

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